Der Dortmunder Jude Bellingham (r) schnappte sich beim Jubeln einen Bierbecher, mit dem er und Erling Haaland beworfen wurden. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Rolf Vennenbernd/dpa)

Der viel beachtete Bierbecher-Fang von Jude Bellingham stand nach dem Fußball-Spektakel von Leverkusen symbolisch für Borussia Dortmund.

Von den BVB-Anhängern auf der Tribüne und im Netz wurde der Jungstar für seinen Torjubel auf den Schultern von Erling Haaland nach dessen 4:3-Siegtreffer gefeiert. Die BVB-Bosse fanden die Szene, in der der Jungstar den Bierbecher eines wütenden Bayer-Fans fing, sich den Rest des Getränks ins Gesicht schüttete und auf den Rasen spuckte, aber gar nicht lustig.

Auch sonst trugen viele Dortmunder ein gemischtes, ja unbehagliches Gefühl aus der Partie. Irgendwie war das alles zu viel Show. So blieb bei aller Freude über den emotionalen Sieg der Eindruck: Meister werden wir so nicht!

Rüge von Kehl

«Ich habe ihm gesagt, dass er das nicht tun soll», sagte Lizenzspielleiter Sebastian Kehl direkt nach dem Schlusspfiff über Bellingham, den die «Sun» in seiner englischen Heimat «Beer-Lingham» taufte: «Und das werde ich ihm auch gleich nochmal sagen.» Unbeirrt davon postete der 17-Jährige kurz darauf die Bilder der Szene und schrieb: «Perfekter Tag für mein erstes Bier… Bin kein Fan.» Der offizielle BVB-Account antwortete darauf: «Wie kann man diesen Kerl nicht lieben?»

Als Fußball-Fan musste man auch dieses Spiel lieben. Nicht nur wegen der sieben Tore. Auch wegen der Dramaturgie, dem begeisternden Offensiv-Fußball beider Teams und der vielen emotionalen Diskussionen. «Darum träumen Kinder davon, Profi zu werden», sagte Leverkusens Coach Gerardo Seoane trotz der «ärgerlichen» Niederlage.

Im Gegenzug war für den BVB längst nicht alles rosig. «Wir haben es uns selbst schwer gemacht», sagte Kehl. Und Kapitän Marco Reus analysierte: «Am Ende gewinnen wir, aber es hat sehr, sehr viel Kraft gekostet. Und das wollen wir nicht. Wir kriegen viel zu viele und viel zu leichte Gegentore.» Auf die Frage, ob ihm das «Sorge mache», antwortete Reus kurz und knapp: «Ja!»

Rose bemängelt viele Gegentore

Auch Trainer Marco Rose erklärte nach dem Sieg an seinem 45. Geburtstag. «Es macht mich sauer, wie viele Gegentore wir kriegen und in welcher Form. Wir haben viel zu besprechen, keine Frage.» Diese Aussprache werde klar und unverblümt ausfallen, kündigte der Coach an: «Ich weiß, dass ich gute Jungs trainiere. Aber wenn sie die Richtung brauchen, kriegen sie gerne die Richtung vorgegeben.»

Die neun Gegentore nach vier Spieltagen – so viele hatte der BVB zuletzt vor 30 Jahren – seien kein Abwehrproblem, «sondern ein geschlossenes Mannschaftsthema. Dabei geht es um das Thema Haltung», sagte Rose: «Um die Frage: Wie sehr bin ich bereit? Wie sehr denke ich als Offensivspieler an den Ballverlust? Da müssen wir nochmal die Sinne schärfen.» Die Balance zwischen Offensiv-Zauber und Defensiv-Arbeit sucht der BVB seit Jahren. Sie zu finden, wird Roses größte und wohl schwerste Aufgabe.

Haaland wieder stark

Allerdings ist es defensiv wohl auch eine Frage der individuellen Klasse. Wenn eine Wolfsburg-Leihgabe wie Marin Pongracic, der beim VfL im Vorjahr nur zehn Mal zum Einsatz kam, ohne eine einzige taktische Einheit mit der Mannschaft in der Startelf steht, ist das signifikant. In Leverkusen halfen dem BVB die Moral, ein Videobeweis zum Sieg bringenden Elfmeter und wieder einmal die individuelle Klasse von Erling Haaland.

Der Norweger schoss zwei Treffer, bereitete einen weiteren vor und ging immer voran, war die personifizierte Leidenschaft. Sich nur auf ihn zu verlassen, wäre im Kampf um Titel aber zu wenig. Oder wie Reus es sagte: «Wir können nicht immer drei oder vier Tore schießen, um zu gewinnen.»

Von Holger Schmidt, dpa
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