«Leichte Gegner gibt es sowieso nicht», sagt Bundestrainer Julian Nagelsmann. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Ein blaues EM-Banner deutete auf den für Julian Nagelsmann so bedeutsamen Galaabend hin.

Die zahlreichen Touristen an der Hamburger Elbphilharmonie interessierten sich vor der Gruppenauslosung an diesem Samstag (18.00 Uhr/ZDF/RTL/Magenta) aber augenscheinlich mehr für die in Sonnenstrahlen getauchten Landungsbrücken als für die drohende EM-Supergruppe für die Fußball-Nationalmannschaft, der nach den jüngsten Enttäuschungen ohnehin kaum etwas zugetraut wird. Da helfen auch Rudi Völlers Loblieder auf Nagelsmann als «perfekter» Bundestrainer nicht.

Nur eine Mini-Minderheit glaubt einer repräsentativen Umfrage zufolge an den EM-Titel beim Heim-Turnier im kommenden Sommer (14. Juni bis 14. Juli) – unabhängig davon, ob die DFB-Auswahl in der Vorrunde gegen Italien, die Niederlande und Österreich spielt oder gegen Albanien, Slowenien und einen schwachen Qualifikanten. Nagelsmann und Völler zählen bei der Ziehung am Abend zu den 800 Gästen in dem Prachtbau an der Elbe, zur Einstimmung schauen sich beide gemeinsam am Mittag das U17-WM-Finale zwischen den DFB-Junioren und Frankreich an.

Völler: «Die Wahrheit kommt im Sommer»

Der Bundestrainer werde in den kommenden Monaten mit «seiner Ansprache, mit seiner Gabe, Spieler auf seine Seite zu ziehen» einen Umschwung bewirken, versicherte Völler bei einem Sponsoren-Termin in Hamburg. Wichtig sei, im EM-Vorlauf die richtige Mischung im Team zu finden. «Die Wahrheit kommt im Sommer», sagte Völler. Die Wucht der öffentlichen Meinung müsse bis dahin ausgehalten werden, meinte der ehemalige DFB-Teamchef.

Die Hamburger Feierstunde mit Deutschland als auf Position A1 gesetztem Gastgeber, Startenor Jonas Kaufmann und Stargeiger David Garrett lenkt kurzzeitig ab von der November-Tristesse wegen der Niederlagen gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2), einen der beiden wünscht sich Völler genau deshalb in der Gruppe. Nach der «großen öffentlichen Häme» wäre dies eine Gelegenheit, Dinge geradezurücken, sagte er. Spiele zur vorherigen Wiedergutmachung bestreitet die DFB-Auswahl erst im März. Bis dahin wird es schwierig mit der EM-Stimmung.

Nur zwei Prozent der Befragten glauben an EM-Titel

In der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche Presse-Agentur prophezeite ein Viertel der Befragten, dass die DFB-Auswahl schon wieder massiv enttäuscht und in der Gruppenphase rausfliegt – wie zuletzt bei den WM-Turnieren 2018 und 2022. 16 Prozent sehen die Nationalmannschaft wie 2021 im EM-Achtelfinale scheitern. 15 Prozent trauen ihr den Einzug ins Viertelfinale und acht Prozent immerhin die Halbfinal-Teilnahme zu. An den Titel glauben: zwei Prozent.

Nagelsmann scheint sich der Gefühlslage bewusst, der Bundestrainer übte sich vor der Los-Gala in Zurückhaltung. «Im Idealfall» müsse er sich im späteren Turnierverlauf mit den Top-Nationen Frankreich, England, Spanien, Portugal und Belgien beschäftigen, die als Gruppengegner nicht infrage kommen. «Aber das ist noch ein weiter Weg», sagte der Nachfolger des glücklosen Hansi Flick.

Dieser war vor einem Jahr am 1. Dezember 2022 mit der Nationalmannschaft in Katar trotz des 4:2 gegen Costa Rica krachend in der Vorrunde gescheitert. Dass der 58-Jährige trotzdem bis September bleiben durfte, darf sich DFB-Chef Bernd Neuendorf als Fehler in sein Präsidentenbuch schreiben. Zwischen den beiden Niederlagen Mitte November verwunderte der 62-Jährige mit der Final-Zielsetzung für die DFB-Auswahl. Das sei der Anspruch bei einer Heim-EM, meinte Neuendorf.

Nagelsmann: «Leichte Gegner gibt es sowieso nicht»

Völler berichtete, seine Überzeugung sei, dass sich die DFB-Auswahl vor der europäischen Konkurrenz «nicht verstecken müsse», auch wenn Frankreich «das Maß aller Dinge» sei. Aus der Erfahrung der trägen vergangenen Monate kritisierte der 63-Jährige: «Optimismus und Zuversicht gehören nicht zu unseren Topstärken.»

Maßgeblich beeinflusst werden Stimmung und Anspruch in sechs Monaten vom Ergebnis des Eröffnungsspiels am 14. Juni in München. Gegner wird im Losprozedere das Nationalteam «A2», das aus allen drei Töpfen kommen kann. Der Auftakt gegen Titelverteidiger Italien ist möglich. «Der Charme einer Auslosung ist, dass gelost wird. Man hat sein Glück also nicht in der eigenen Hand, leichte Gegner gibt es sowieso nicht», sagte Nagelsmann der dpa.

Beim Turnier folgen die Gruppenpartien der DFB-Auswahl in Stuttgart (19. Juni) und in Frankfurt/Main (24. Juni). Auf dem Weg dahin liege «hier und jetzt» noch «viel Arbeit vor uns», sagte Nagelsmann. Geplant sind zunächst zwei Testpartien im März – dem Vernehmen nach gegen die Niederlande und in Frankreich. Sollten die Niederlande der Nagelsmann-Auswahl aber tatsächlich zugelost werden, müsste ein anderer Gegner gesucht werden. Nach dem Saisonende in der Bundesliga sind zwei weitere Partien geplant, dann mit dem Turnierkader, der bestenfalls eine Art zweites Sommermärchen schreiben soll.

Jan Mies und Arne Richter, dpa
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