Stefan Kuntz sieht den DFB im Werben um Talente mit ausländischen Wurzeln wegen der hohen Hürden auf dem Weg ins A-Nationalteam im Nachteil. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hendrik Schmidt/dpa)

Aleksandar Pavlovic erlebte zumindest schon mal das Gefühl von Länderspiel-Vorfreude. Der Münchner Shootingstar musste sein Debüt bei Bundestrainer Julian Nagelsmann wegen einer Mandelentzündung vertagen, aber der Weg des auch von Serbien umworbenen Bayern-Lichtblicks in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist nach der ersten Nominierung geebnet.

«Ich finde es legitim und notwendig, dass der DFB sich um Talente bemüht, die auch für andere Nationen spielen können. Aber ich bin kein Trainer, der Spieler nominiert oder reinredet, für welches Land sie spielen sollen», sagte Nagelsmann. «Das ist für mich ein sehr persönliches Thema, was die Familien angeht, was die Spieler angeht, zu welchem Land sie sich zugehörig fühlen.»

Frühzeitig Bindungen aufbauen

Die sehr persönliche Frage, in welcher Nationalmannschaft ein Jung-Profi seine Zukunft sieht, spielt in den Multi-Kulti-Teams des Deutschen Fußball-Bundes fast automatisch eine Rolle. «Dadurch, dass in Deutschland viele Spieler mit Migrationshintergrund Fußball spielen, gibt es wahrscheinlich viele Fälle», sagte U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo. «Auch in den Nationalmannschaften kann es durchaus passieren, dass der eine oder andere Spieler diesen Gedanken hat.»

Im deutschen U21-Aufgebot für die EM-Qualifikationsspiele am Freitag (18.00 Uhr/ProSieben Maxx) in Chemnitz gegen den Kosovo und vier Tage später in Halle/Saale gegen Israel stehen zwei Neulinge, deren Zukunft auch in Auswahlmannschaften anderer Länder liegen könnte. Der Hoffenheimer Umut Tohumcu (19) wurde dem Vernehmen nach schon von der Türkei umworben. Der Nürnberger Jens Castrop (20) wird in Südkorea hochgeschätzt.

Dass beide nun ihr U21-Debüt für Deutschland geben könnten und auf viele Jahre in U-Teams zurückblicken, ist erst einmal ein klares Statement. Ein Nationenwechsel ist in diesen Tagen kein Thema. «Wir haben in den letzten Jahren auch viele Spieler sehr frühzeitig eingesetzt, die noch nicht im Kernjahrgang waren», sagte Di Salvo. Es sei wichtig, eine Bindung aufzubauen. In allererster Linie zum Spieler selbst – aber auch der Kontakt zu Familie und Beratern kann bedeutsam sein.

Di Salvo drückt Dardai nach «Herzensentscheidung» die Daumen

Die Bindung alleine reicht nicht. Im Gegensatz zum mitreißenden 3:1 der U21 im November gegen Polen, als das Team von Di Salvo auf dem Weg zur EM-Endrunde 2025 den vierten Sieg im vierten Spiel feierte, ist der Berliner Verteidiger Marton Dardai diesmal nicht dabei. 

Der 22-Jährige traf eine «absolute Herzensentscheidung» und freut sich «unglaublich, in Zukunft für das Heimatland meiner Eltern aufzulaufen». Mit Ungarn wäre Dardai im Falle einer Nominierung bei der EM dabei – und würde dort sogar auf Deutschland treffen. «Wir hatten ein gutes Gespräch Anfang des Jahres», berichtete Di Salvo. «Ich drücke die Daumen, dass das dann alles so klappt.»

Kuntz: Mehrere Faktoren können Entscheidung beeinflussen

Mal fällt die Entscheidung zu einer Länderspielkarriere beim DFB, mal eben auch nicht. «Manchmal ist es auch ein bisschen mehr Kalkül: Wo habe ich größere Chancen auf Einsätze, was ist gut für meine Karriere?», sagte der frühere U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz der Deutschen Presse-Agentur. «Ab einem gewissen Alter bekommen junge Spieler oft bei anderen Nationen die Perspektive, deutlich früher für die A-Nationalmannschaft zu spielen.» Weitere Faktoren könnten «Marktwertgründe, Herzensgründe oder Überzeugungsgründe» sein.

Jung-Profis einen «ehrlichen Weg» aufzeigen

Ein Verbandswechsel von Pavlovic (19) nach Serbien ist weiterhin möglich, was aber wohl selbst Serbiens Nationaltrainer Dragan Stojkovic überraschen würde. Aber erst mit einem EM-Einsatz würde sich Pavlovic auf eine Fußball-Nation festlegen. Gegen den DFB – oder besser gesagt für die Türkei – hat sich das Nürnberger Supertalent Can Uzun (18) kürzlich entschieden. «Mein Herz und mein Bauch haben gesagt, dass die Türkei die richtige Wahl für mich ist», begründete der in Regensburg geborene Offensivspieler sein Votum.

DFB-Sportdirektor Rudi Völler und Sport-Geschäftsführer Andreas Rettig besuchten Uzun, dessen Club-Zukunft bei Eintracht Frankfurt liegt, vor wenigen Wochen. «Wir hatten tolle Gespräche. Can hat sich wirklich auch schwergetan, eine Entscheidung zu treffen», berichtete Di Salvo. Man habe dem Spieler «einen ehrlichen Weg» und «sein Potenzial» aufgezeigt. «Er hat sich für die Türkei entscheiden und das müssen wir akzeptieren.»

Von Christian Kunz und Miriam Schmidt, dpa
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