Silvia Neid hat als Trainerin viele Titel gewonnen: Unter anderem die Olympische Goldmedaille in Rio 2016 sowie die Weltmeisterschaft 2003 und 2007. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Arne Dedert/dpa)

Silvia Neid hat so viele Titel als Spielerin und Trainerin gewonnen, dass sie bei ihrem Umzug kürzlich innerhalb von Wilnsdorf bei Siegen wieder mal alle Trophäen und Urkunden sortieren musste. Die wichtigsten – eine Kopie des WM-Pokals von 2007, die olympische Goldmedaille von 2016 und die Auszeichnungen zur FIFA-Welttrainerin des Jahres – schmücken jetzt ihr Büro. «Alles andere habe ich in den Speicher gepackt. Da oben stehen jetzt ungefähr fünf Kisten mit Fußballsachen», erzählt die Ex-Bundestrainerin im dpa-Gespräch lächelnd. An diesem Donnerstag (2. Mai) wird Neid 60 Jahre alt. 

Ihre Titelsammlung beim Deutschen Fußball-Bund gilt als einzigartig, nur der im Januar gestorbene Franz Beckenbauer hatte Neid eines voraus: Der Kaiser war als Spieler und als Trainer Weltmeister. Neid gewann die WM als Assistentin von Tina Theune (2003) und als Cheftrainerin (2007), triumphierte bei Sommerspielen von Rio, war dreimal Europameisterin als Aktive und fünfmal als DFB-Coach. Als Spielerin blieb ihr der WM-Titel verwehrt: 1995 unterlag sie mit den deutschen Fußballerinnen im Finale der Auswahl Norwegens mit 0:2.

Neid war schon beim ersten DFB-Länderspiel dabei

Dass der Verband seine über viele Jahre erfolgreichen Fußballerinnen eher so nebenbei laufen ließ, weiß natürlich keine besser als Neid. Sie spricht sinngemäß vom Fluch der guten Tat: Mit Sicherheit sei eine schnellere Entwicklung möglich gewesen. «Aber ich glaube, das hat man damals nicht so wahrgenommen, weil wir ja trotzdem alles gewonnen haben, fast jeden Titel. Es war ja gar nicht nötig, irgendwas zu verändern – aus DFB-Sicht unter den ganzen Präsidenten, die ich erlebt habe.»

Neben den Titeln habe ihr der Fußball «ganz viel» gegeben: «Viele Menschen, die man getroffen hat. Viele Länder, die man bereist hat. Viele Freundschaften, die ich in dieser Zeit geschlossen habe und immer noch habe.» Seit Jahrzehnten ist Neid ein Gesicht des deutschen Frauenfußballs. Schon beim ersten Länderspiel der DFB-Historie 1982 wurde die damalige Spielerin vom SC Klinge Seckach, die später mit der SSG 09 Bergisch-Gladbach und dem TSV Siegen deutscher Meister und Pokalsieger wurde, eingewechselt.

Kaffeeservice als Prämie für EM-Titel

Die Entwicklung ihres Sports hat Neid oft mit Ungeduld und Hartnäckigkeit und zuletzt auch etwas staunend mit vorangetrieben und verfolgt. «Es ist ein totales Interesse vorhanden – das finde ich super und es ist auch an der Zeit», sagt die 111-fache Nationalspielerin. «Sportlich ist in den letzten vier, fünf Jahren schon einiges passiert, was die Dynamik und das Tempo angeht und vor allem die technischen Fertigkeiten. Es ist ein sehr flottes Spiel geworden.»

Als Auswahlspielerin arbeitete Neid einst noch Vollzeit im Blumengroßhandel und schrieb ihre eigenen Trainingspläne. Sie gehört jener Generation an, die für den ersten EM-Titel 1989 vom Verband ein Kaffeeservice als Prämie erhielt. Heute leitet die Ex-Bundestrainerin (2005 bis 2016) beim DFB die Trend-Scouting-Abteilung und arbeitet den Trainern zu. Inzwischen, sagt Neid, sei Frauenfußball beim Verband «Chefsache», ziehe sich über alle Abteilungen durchs ganze Haus in Frankfurt/Main und sei auf höchster Ebene angekommen. «Gar nicht auszudenken, wenn wir diese personelle Power damals schon gehabt hätten.»

Neid traut DFB-Team bei Olympia viel zu

Sportlich haben die DFB-Frauen im internationalen Vergleich nach Neids Ära einiges einstecken müssen. Trotz des WM-Debakels von Australien 2023 unter Cheftrainerin Martina Voss-Tecklenburg und den Schwankungen zuletzt unter Interimscoach Horst Hrubesch traut Neid den Fußballerinnen bei Olympia in Paris eine Medaille zu. «Ich finde – das habe ich aber auch letztes Jahr vor der WM in Australien schon gesagt –, dass unsere Mannschaft so viel Qualität hat, dass sie ganz vorne dabei sein kann. Und das sage ich jetzt immer noch.» 

Neid verweist darauf, dass in Paris nur zwölf Teams antreten. «Es fehlen Schweden, England und die Niederlande, das sind ja richtig gute Mannschaften», erklärt sie. «Ich habe die USA, Brasilien und Australien beobachtet, die sind nach meiner Einschätzung alle noch nicht in Top-Form, aber das sind Momentaufnahmen.» Weltmeister Spanien sei auf jeden Fall «top».

Großes Vertrauen in Christian Wück

Die in Walldürn (Neckar-Odenwald-Kreis) geborene Neid hat auch Vertrauen in Christian Wück, der nach Olympia die Nachfolge von Hrubesch antritt. Der U17-Weltmeistertrainer der Männer hat zwar noch nicht im Frauen-Bereich gearbeitet, aber sie ist überzeugt: «Er wird das gut machen. Fußball ist Fußball.»

Wück und seine künftige Assistentin Maren Meinert seien die Richtigen, «um die Mannschaft taktisch weiterzuentwickeln. Da braucht man einfach eine Handschrift für die Zukunft – und ich glaube, die bekommen wir mit diesem Trainerteam.»

Von Ulrike John und Arne Dedert (Fotos), dpa
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