In Deutschland dabei: Italien-Coach Luciano Spalletti (r) kann für die EM 2024 planen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Nach dem erlösenden Schlusspfiff rutschte Torhüter Gianluigi Donnarumma auf Knien vor die Gästekurve der BayArena. Seine Mitspieler folgten ihm kurz, dann formierten sie sich für ein Jubel-Bild.

Doch weitere ausgelassene Feiergesten verkniffen sich die italienischen Fußball-Stars an diesem besonderen Abend auf dem Spielfeld. Nach dem Verpassen der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 hatte der Titelverteidiger durch das 0:0 gegen die Ukraine in Leverkusen mit etwas Zittern und Glück das direkte Ticket für die EM in Deutschland gelöst. Doch allen war klar, dass sportlicher Erfolg an diesem Abend sehr relativiert wurde.

Italiener beweisen Taktgefühl

Den tapferen Ukrainern, die den Titelverteidiger nicht nur bei einer kniffligen Elfmeter-Situation in der Nachspielzeit vor dem Aus hatten, zu euphorisch vorzujubeln, wäre unpassend gewesen. Dieses Taktgefühl wahrer Champions besaßen die Italiener, die schon vor dem Anpfiff eine Geste des Friedens gezeigt und zusammen mit ihren Fans während der gesamten Hymne der Ukraine geklatscht hatten. Nach dem kurzen Jubler vor den Tifosi zollten sie den Gegnern noch einmal Applaus, als diese sich im Mittelkreis versammelten. Trainer Luciano Spalletti und Stürmer Federico Chiesa gratulierten dem Gegner für die Leistung unter den schwierigen Umständen.

«Das war sehr emotional», sagte der ukrainische Nationaltrainer Serhij Rebrow sichtlich bewegt: «Die Italiener auf dem Platz und die auf den Rängen haben uns Respekt und Unterstützung gezeigt.» Im Umkehrschluss schien es ihm wohl nicht passend, sich über den nicht gegebenen Strafstoß zu beklagen. «Ich dachte, es war ein Elfmeter», sagte er: «Aber sie haben es ja geprüft. Deshalb war das wohl nur mein Gefühl.»

Die italienischen Medien wurden deutlicher. «Wir müssen uns beim Schiedsrichter und dem VAR bedanken», schrieb die «Gazzetta dello Sport»: «Hätte er uns einen solchen Elfmeter verweigert, hätten wir noch ewig darüber geredet.» Der «Corriere della Sera» urteilte: «Die Ukrainer werden wütend sein und an eine Verschwörung denken. Aber für uns ist das in Ordnung so.» Die «La Repubblica» zeigte sich beeindruckt von der Mentalität der Ukraine und versprach: «In den Play-Offs werden wir sie aufrichtig anfeuern.»

Rebrow dankt deutschen Fans

Rebrow dankte auch den deutschen Fans für den warmen Empfang, wegen des russischen Angriffskrieges kann sein Team derzeit keine echten Heimspiele absolvieren. Und das ist nur das logistische Problem. «Wir alle wissen, dass der Krieg in der Ukraine weitergeht», sagte Rebrow: «Das ist ziemlich hart für die Spieler. Sie schauen immer auf ihre Handys und schauen Nachrichten. In dieser Atmosphäre ist es nicht einfach. Aber alle Spieler haben gezeigt, dass sie Charakter haben und für ihr Land kämpfen.» 

Nach der Auslosung in einer Gruppe mit den letztmaligen EM-Finalisten England und Italien hätten «sogar in der Ukraine nicht viele an uns geglaubt. Aber wir haben bis zum letzten Spiel gekämpft.» Und nachdem nur der verlorene Direktvergleich mit Italien nach dem 1:2 im Hinspiel das Direkt-Ticket gekostet hat, haderten die Ukrainer auch kaum. Kapitän Taras Stepanenko dankte den «wunderbaren Fans, die aus ganz Europa hierhergekommen sind», und dachte sofort an die Zusatzchance auf die vierte EM-Teilnahme in Folge: «Wir gehen mit Stolz in die Play-offs.» Einerseits wirkt Fußball in diesen Tagen so banal, andererseits ist er als Ablenkung und Lichtschimmer irgendwie noch wichtiger. 

Erleichterung bei Donnarumma und Co.

Das spürten auch die Italiener, doch die Erleichterung war ihnen auch anzumerken. Man schulde die EM-Teilnahme auch den eigenen treuen Fans, die das Team in schwerer Lage in der Quali immer unterstützt hätten, sagte Donnarumma. Und freut sich auf die EM: «Wir gehören da einfach hin. Wir gehen als Titelverteidiger rein. Und mit diesem Geist in der Mannschaft ist einiges möglich.» 

Ein Geist, der am Montagabend in Leverkusen weit über das Sportliche hinausging. Und deshalb haben die Italiener auch mehr gewonnen als nur das EM-Ticket.

Von Holger Schmidt und Christoph Sator, dpa
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