Freiburger Fußballfans setzten bereits vor mehreren Jahren ein Zeichen gegen Sexismus. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Patrick Seeger/dpa)

Fast die Hälfte der Abreißzettel mit der Telefonnummer in der Not fehlt. Die Hinweise zur Hilfe bei Gewalt gegen Frauen sind in 15 Sprachen übersetzt. Und der Tipp auf dem Plakat, das auf der Damentoilette im Stadion des 1. FC Heidenheim hängt, ist offenbar durchaus gefragt. 

Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und macht auch vor den Fußball-Arenen nicht Halt. In der Enge wird wie in anderen Massen an den Po gegrabscht. Ein Torjubel führt zu einem ungewollten Kuss. Es fallen anzügliche Sprüche. Frauen fühlen sich bedrängt, unangenehm berührt, unwohl. In Einzelfällen reden wir auch vom Hinterherlaufen auf die Toilette, sagt Fußballfan Helen Breit von der Supporters Crew Freiburg.

«Die Konsequenzen für die Betroffenen sind sehr groß», sagt Breit: «Ich kenne Frauen, die sind mehr oder weniger im Block aufgewachsen, haben sich nach einem Vorfall dann aber ein halbes Jahr unsicher gefühlt, wie sie sich da jetzt bewegen können.» 

Belästigt beim Stillen

Sexualisierte Gewalt ist kein besonderes Problem des Fußballs. Breit vergleicht das Stadion mit Diskotheken, mit großen Festen, wo Menschenmassen eng zusammenstehen, «wo man vermeintlich unentdeckt übergriffig werden kann». Antje Grabenhorst vom Netzwerk gegen Sexismus hält den Fußball zwar auch für einen Spiegel der Gesellschaft, aber auch für ein «Brennglas» oder Ort der «Zuspitzung», wie sie sagt. Gerade dort würde es noch «sehr klassische Männlichkeitsbilder» geben, die das Verhalten beeinflussen.

Von einem Vorfall berichtete kürzlich Steffani Jenz, Frau des Wolfsburger Profis Moritz Jenz. Im Stadion des 1. FC Union Berlin habe sie sich beim Stillen belästigt gefühlt, schrieb sie in sozialen Netzwerken. Ein älterer Mann mit einem Bier in der Hand und wütendem Gesicht sei auf sie zugekommen, als sie im Familienbereich in einem fast leeren Raum ihren Sohn gestillt habe, und habe sie aufgefordert, den Raum zu verlassen. 

Das Personal habe die Situation nicht verstanden. Als sie einen Sicherheitsmitarbeiter angesprochen habe, sei dieser zu dem Mann gegangen und fünf Sekunden später hätten beide gelacht. Union nahm anschließend Kontakt mit ihr auf und drückte Bedauern aus.

Für einen Aufreger sorgten Ende Januar Fans von Drittligist Rot-Weiss Essen. Im Spiel gegen Preußen Münster zeigten sie ein Plakat mit einer Karikatur einer Kriegerfigur, die einen erigierten Penis in der Hand hält. Daneben stand: «Ist Luisa hier?» «Luisa ist hier» ist in Münster, im Münsteraner Preußenstadion und anderen Orten ein Hilfsangebot für Frauen in unangenehmen Situation. «Ist Luisa hier?» dient als Code. So müssen sich Frauen nicht groß erklären, wenn sie sich an das Sicherheitspersonal wenden. 

Schutzkonzepte wie «Panama» oder «Lotte»

Zunehmend richten Clubs Schutzkonzepte ein, um für Sexismus, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt in den Stadien zu sensibilisieren und klarzustellen, diese nicht zu dulden. Und um Hilfe anzubieten. Das Telefonangebot, das in Heidenheim beworben wird, kommt vom Bundesamt für Familie. Der Erstliga-Aufsteiger ist nach eigenen Angaben dabei, ein eigenes Awareness-Team dafür aufzubauen. Andere Clubs sind weiter. 

Auch bei Bayer Leverkusen hilft «Luisa», bei Hertha BSC lautet die Code-Frage «Wo ist Lotte?» In Freiburg können sich Fans mit dem Wort «Fuchsbau» an Mitarbeiter wenden. Der VfB Stuttgart hat «Das Dächle» als Anlaufstelle eingerichtet. Stadionbesucher in Wolfsburg oder Dortmund bekommen mit «Wo geht’s nach Panama?» Hilfe. 

Bettina Rulofs vom Institut für Soziologie und Genderforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln hat einen Schwerpunkt von Gewalt im Sport, nicht in Stadien, sieht aber einen Trend. «Wir sehen gesamtgesellschaftlich und im Sport eine Enttabuisierung. Was überfällig ist, weil das Thema zu lange verdrängt wurde, auch im Sport. Denn im Sport und auch in den Stadien soll ja zunächst immer das Positive im Vordergrund stehen», sagt sie. 

Dass es zunehmend Strukturen gibt, hält Fanaktivistin Breit für «eine gute Entwicklung»: «Ich wüsste jetzt ad hoc nicht, was man mehr machen könnte, außer das ernsthaft zu betreiben, von Präventionsmaßnahmen über Unterstützung im konkreten Fall bis zu einer guten Nachbereitung.»

Womöglich hohe Dunkelziffer

Nicht nur in Fußballstadien, sondern auch in der Zuschauermenge anderer Sportarten kommen sexualisierte Vorfälle vor. Beim Eishockey-Club Eisbären Berlin stellte sich kürzlich Geschäftsführer Thomas Bothstede selbst aufs Eis und richtete einen eindringlichen Appell an die Zuschauer, dass Belästigung von Frauen nicht vorkommen dürfen. 

Konkrete Zahlen zu Vorfällen in deutschen Arenen gibt es nicht. Die Dunkelziffer dürfte auch hier deutlich höher sein als die Zahl der Vorfälle, die in der Vergangenheit bekanntwurden. Das Bundesfamilienministerium geht davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Betroffenen die Übergriffe zur Anzeige bringe. Laut Breit wird die Unterstützung in Freiburg «leider regelmäßig in Anspruch genommen». Der Leverkusener Direktor Fans und Soziales, Meinolf Sprink, berichtet, alle paar Spiele käme ein Fall vor: «Jeder Fall ist ein Fall zu viel.» 

In Leverkusen tragen Mitarbeiter Ansteckbuttons als Erkennungszeichen, sie werden für die Fälle geschult. Bayer bietet – wie andere Clubs – auch Rückzugsräume an. Dort können Betroffene die Tür hinter sich schließen, zur Ruhe kommen. Auch in den VIP-Räumen werde mittlerweile aufmerksam gemacht. 

Schon die Plakate können abschreckend wirken, sagt Rulofs. «Wenn alle zusammen hinschauen und bereit sind, gemeinsam einzuschreiten, um sexualisierte Kommentare und Gewalt zu vermeiden, dann wird die Hürde Gewalt auszuüben, weiter hochgelegt.»

Von Kristina Puck, dpa
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