Bayerns Vorstandschef Oliver Kahn nimmt Stellung zu den Aussagen von Manuel Neuer. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Wie können Manuel Neuer und der FC Bayern wieder zusammenfinden? Nach seinen wortgewaltigen Attacken und der schnellen Maßregelung durch Oliver Kahn überstrahlt diese spannende Frage die explosive Gemengelage beim Fußball-Rekordmeister.

Zwischen dem noch lange verletzten Nationalmannschafts-Kapitän und den Münchner Bossen stehen «deutliche Gespräche» an, wie Kahn ankündigte. Dann wird über den riesigen Wirbel zu reden sein, den Neuer mit markanten und emotionalen Interview-Aussagen ausgelöst hat. Den Verein, die Bosse und Trainer Julian Nagelsmann erwischte er kalt.

Neuer enttäuscht über Entscheidung zu Toni Tapalovic

«Was Manuel in Teilen dieser zwei Interviews im Zusammenhang mit der Freistellung von Toni Tapalovic gesagt hat, wird weder ihm als Kapitän noch den Werten des FC Bayern gerecht. Zudem kommen seine Aussagen zur Unzeit, weil wir vor ganz wichtigen Spielen stehen», kritisierte Kahn auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Vom 4:0 im DFB-Pokal in Mainz redete am Tag vor dem Wolfsburg-Spiel an diesem Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) und anderthalb Wochen vor der Champions-League-Kraftprobe mit Lionel Messi und Paris Saint-Germain keiner mehr. Der Streit zwischen Club und Neuer überlagert vorerst alle sportlichen Themen.

Der Zeitpunkt kurz vor dem PSG-Achtelfinale und die untypische Wortgewalt von Neuer, der sonst als Kapitän eher nicht der große Klartext-Redner ist, bescheren den Bayern neue Probleme in einer ohnehin kniffligen Saison. Die Aussortierung seines langjährigen Torwarttrainers Tapalovic sei «das Krasseste» gewesen, was er in seiner Karriere erlebt habe, sagte Neuer im Interview der «Süddeutschen Zeitung» und von «The Athletic». «Für mich war das ein Schlag, als ich bereits am Boden lag. Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen.» 

Für die Bayern-Bosse sind Aussagen wie diese ein Affront. Neuer sorgt für eine Eskalation. Zwischen der Club-Führung und dem über Jahre weltbesten Torhüter hatte es schon einmal geknirscht: Im Rahmen der Vertragsverlängerung im Jahr 2020. Zusammen mit seinem Berater hatte Neuer ebenfalls über die Medien für Aufsehen gesorgt.

Die von Trainer Julian Nagelsmann vorangetriebene Trennung des Neuer-Vertrauten und -Trauzeugen Tapalovic hat den nach seinem Unterschenkelbruch in der Reha arbeitenden Neuer schwer getroffen. Der bald 37-Jährige versucht als langjähriger Garant von Bayern-Erfolgen und als entscheidender Faktor beim WM-Triumph 2014 Stärke zu demonstrieren – was bei seiner Fußball-Vita gerechtfertigt ist. Allerdings befindet er sich nach seinem schwerwiegenden und für den Club zudem sehr kostspieligen Skiunfall derzeit in einer geschwächten Position. 

Vertrag bis zum Sommer 2024 beim FC Bayern

Die Skitour rechtfertigte Neuer, dem es nach dem Unfall nach eigenen Angaben wieder «gut» geht, als wichtigen Teil der «Regeneration für Körper und Psyche». Gefährlich sei das seiner Meinung nach nicht gewesen, «eigentlich Kindergeburtstag». Doch die Folgen und die lange Ausfallzeit mindestens für den Rest der Saison sprechen für sich. 

«Ich muss schauen, wie ich zurückkommen werde. Wenn es so weit ist, dann schaue ich in den Spiegel und sage mir die Wahrheit, so wie immer. Wenn ich nicht performe, werde ich den Posten räumen. Aber rechnen Sie nicht damit!», versicherte Neuer die Rückkehr zu alter Klasse. Ins Tor der Nationalmannschaft will er auch noch mal. «Der Beste wird spielen. Wenn ich spielen will, muss ich der Beste sein», sagte Neuer. Er will es allen beweisen. Das Interview lässt Raum für Spekulationen, dass Neuer seine weitere Club-Zukunft auch anderswo sehen könnte. 

Beim FC Bayern läuft sein Vertrag bis zum 30. Juni 2024, der des als Ersatz verpflichteten Schweizer Nationaltorhüters Yann Sommer ein Jahr länger. Das konnte schon als erste Botschaft des Vereins an Neuer verstanden werden. Das Tapalovic-Aus traf Neuer aber ungleich härter. «Für mich kam das aus dem Nichts», sagte der Torhüter. 

Eine «nachvollziehbare Begründung» habe es nicht gegeben. Ihn habe die Torwarttrainer-Trennung sogar mehr beschäftigt als die Kritik aus Münchner Fan-Kreisen nach seiner Verpflichtung vom FC Schalke im Jahr 2011, als Plakate mit der Aufschrift «Koan Neuer» in die Höhe gehalten wurden. Auch jetzt polarisiert er wieder in der Anhängerschar.

«Auch das war krass. Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt in all den Jahren. Doch was jetzt passiert ist, das ist noch mal eine ganz andere Hausnummer. Alle in unserer Torwart-Gruppe hat es zerrissen, da sind Leute in Tränen ausgebrochen», schilderte Neuer.

Kahn zieht Parallele zu Sepp Maier

Kahn erinnerte an das Aus seines vertrauten Torwarttrainers Sepp Maier im Jahr 2004 bei der Nationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann, der später auch Kahn als Nummer 1 entthronte. «Ich war damals auch enttäuscht, und ich war wütend auf den DFB. Aber die gemeinsamen Ziele standen für mich im Vordergrund. Sie waren mir wichtiger als meine persönlichen Gefühle. Und aus diesem Grund habe ich damals entschieden, mich nicht öffentlich zu äußern. Manuel hat jetzt das Gegenteil getan», sagte Kahn.

Eine Geldstrafe für Neuer ist eine naheliegende Folge. Die bislang wohl höchste Geldstrafe beim FC Bayern hatte der langjährige Kapitän Philipp Lahm im Jahr 2009 zahlen müssen, als er nach einem vereinskritischen Interview mit 50.000 Euro zur Kasse gebeten wurde. 

Bedeutsamer als die Höhe der Strafe ist aber die Frage nach der künftigen Zusammenarbeit mit Nagelsmann. Das von beiden als professionell bezeichnete Verhältnis dürfte nach der jüngsten Entwicklung abgekühlt sein. Anders als das von Neuer zu Bundestrainer Hansi Flick, dem Vorgänger von Nagelsmann.

«Generell ist er jeden Tag hier, wir sehen uns und tauschen uns natürlich auch aus. Dass ich mir wünsche, dass ein Weltklasse-Torwart wie Manu wieder gesund ist und im Tor steht, das steht, glaube ich, außer Frage», hatte Nagelsmann am Freitag in der Pressekonferenz zum Wolfsburg-Spiel gesagt – vor der Veröffentlichung von Neuers Interviews. So schwierig die gemeinsame Zukunft von Nagelsmann und Neuer zu sein scheint – im schnelllebigen Profifußball gelten allerdings auch andere Mechanismen als in der normalen Berufswelt. 

Christian Kunz und Klaus Bergmann, dpa
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