Bundestrainer Joachim Löw beobachtet das letzte Training in Seefeld. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Nach einer letzten, kurzen Übungseinheit pfiff Joachim Löw das Trainingslager der Fußball-Nationalmannschaft in den Tiroler Bergen ab.

Aber noch vor der Abreise aus Seefeld hob der Bundestrainer zu einem flammenden Plädoyer für sein so kontrovers diskutiertes EM-System mit der Abwehr-Dreierkette an.

«Wenn jemand denkt, dass eine Dreierkette die defensivere Variante ist, dann täuscht er sich. Die Viererkette ist eher defensiv, da hat man vier Verteidiger», sagte Löw mit einem energischen Tonfall und erklärte: «Die beiden Außenbahnspieler sind Mittelfeldspieler.» Denn er kann die Außenverteidigerpositionen auch offensivstark besetzen.

Als Pendant zu Robin Gosens links könnte schon am Montag (20.45 Uhr/RTL) beim letzten Test vor dem Frankreich-Ernstfall in Düsseldorf gegen Lettland Joshua Kimmich wieder rechts auflaufen. Oder Löw realisiert das Experiment mit dem Gladbacher Jonas Hofmann. «Jonas ist eine Variante für die Außenbahn. Wir versuchen das mal», sagte er. Turnierneuling Hofmann hat die Rolle in Seefeld intensiv geübt.

Bundestrainer optimistisch

Der Bundestrainer beschloss die erste Etappe seiner EM-Abschiedstour am Wochenende im festen Glauben daran, mit seinem EM-Aufgebot auf dem richtigen Weg zu sein. «Wir sind einen Schritt vorangekommen», sagte der 61-Jährige und blickte sofort voraus: «Jetzt geht es ins Detail.»

Die EM-Uhr tickt. Der Countdown für den wohl schwerstmöglichen Auftaktgegner am 15. Juni vor 14.000 Fans in der Münchner Arena läuft. «Wir beginnen das Turnier gegen einen, wenn nicht den Favoriten auf den Titelgewinn», mahnte Toni Kroos. Der 101-malige Nationalspieler wird nach seiner Corona-Erkrankung gegen Lettland wieder seinen Stammplatz in der Mittelfeld-Zentrale einnehmen.

«Toni ist spielfreudig wie eh und je. Er ist eine zentrale Figur in unserem Spiel», sagte Löw. «Rein coronamäßig spüre ich nichts», berichtete der 31-jährige Kroos selbst: «Ich bin so weit.» Auch die vier Champions-League-Finalisten Kai Havertz, Antonio Rüdiger, Timo Werner und Ilkay Gündogan sollen auf jeden Fall zum Einsatz kommen.

Goretzka fehlt weiterhin

Leon Goretzka dagegen ist nicht nur gegen Lettland raus. Der Bayern-Profi wird auch das erste EM-Spiel verpassen. Goretzka werde nach seiner Muskelverletzung «vielleicht noch eine Woche brauchen, um ins Mannschaftstraining einzusteigen», berichtete der Bundestrainer.

«Die Stimmung ist extrem energetisch», lobte Löw den bisherigen Arbeitseifer seiner Spieler. «Wir haben viele Inhalte abgearbeitet», berichtete Matthias Ginter, der sich mit Mats Hummels und Antonio Rüdiger in der Dreierkette einspielen soll. Der Gladbacher sprach von «drei größeren Bausteinen», an denen intensiv gearbeitet worden sei: Stabilere Defensive, bessere Chancenverwertung, Standardsituationen.

Oliver Bierhoff bewertete die erste Vorbereitungsetappe ebenfalls als ermutigend: «Die Atmosphäre war sehr fokussiert und positiv.» Der DFB-Direktor weiß jedoch, dass allein Tag X zählt. «Restzweifel musst du immer haben», räumte Bierhoff ein. «Das richtige Herz, der richtige Mut und die richtige Power musst du am 15. Juni gegen die Franzosen direkt auf den Platz legen», sagte der Ex-Nationalspieler.

Vor dem Einzug ins Turnier-Quartier beim DFB-Partner Adidas im fränkischen Herzogenaurach muss aber auch der allerletzte Testlauf gegen Sparringspartner Lettland gelingen. Vor 1000 zugelassenen Zuschauern soll in der Düsseldorfer Arena der EM-Funke gezündet werden – gerade auch bei den noch skeptischen Fans. «Es ist ganz wichtig, dass wir noch mal ein geiles Spiel abliefern und mit einer positiven Grundstimmung in die EM gehen», verkündete Gosens.

Deutsche Nummer Eins mit Jubiläum

Tore, Tempo, Tricks – die Generalprobe muss sitzen. Zumal es das Jubiläumsspiel von Manuel Neuer ist, der zum 100. Mal im DFB-Tor stehen wird. Der 35-Jährige wird mit extra angefertigten Handschuhen auflaufen. Eine goldene 100 ziert den Klettverschluss, auf dem zudem seine Auszeichnungen, Titel und gespielten Turniere aufgeführt sind. Auch Löw schaute sich am Sonntag auf dem Trainingsplatz Neuers Jubiläums-Unikat ganz genau an. Von einer «magischen Zahl», sprach Löw. «Die Hunderter-Marke erfüllt mich mit Stolz», sagte Neuer.

Löws Dreierketten-Strategie und der Masterplan gegen Frankreich können gegen den Weltranglisten-138. Lettland natürlich nur arg bedingt simuliert werden. «Lettland hat nicht diese Offensivkraft», bemerkte Löw. Trotzdem soll die Dreierkette beibehalten werden.

Bierhoff verteidigte Löws Systementscheidung. «Es ist ein klares Ziel von Jogi: Wir müssen weniger Chancen zulassen. Du kannst es dir bei einem Turnier nicht erlauben, Rückständen hinterherzurennen.» Sogar Kimmich opponiert nicht, selbst wenn er aus dem Zentrum nach rechts ausweichen müsste. «Gerade in einem Turnier ist es wichtig, dass hinten die Null steht», bemerkte der extrem ehrgeizige Münchner.

Bei zwei Außenverteidigern mit Offensivdrang könnte Löw sogar Thomas Müller und Havertz zusammen hinter einer zentralen Spitze auf den offensiven Halbpositionen aufbieten. «Thomas und ich lieben es, im Zentrum zu spielen», sagte der 21-jährige Havertz. Der Torschütze aus dem Champions-League-Finale will nun auch Richtung EM durchstarten.

Von Klaus Bergmann und Jens Mende, dpa
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