Bundestrainer Joachim Löw sprach im Abschlusstraining etwas länger zur Mannschaft. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

«Durchziehen!» Mit der nächsten unmissverständlichen Ansage an das noch torloses EM-Ensemble hat Joachim Löw gleich nach der Ankunft in München seine Forderungen für den heißen Kampf gegen Cristiano Ronaldo und Co. klar gemacht.

Mit unbestechlichem Pokerface ließ sich der Bundestrainer zwar keine personellen Überlegungen zu Joshua Kimmich oder Leroy Sané entlocken. Eines ist aber sicher: Der Angriff muss am Samstag (18.00 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Portugal zünden. «Taktisch müssen wir schon etwas anderes ins Spiel reinbringen, das heißt mehr Offensivkraft», postulierte Löw nach der Enttäuschung beim 0:1-Auftakt gegen Frankreich seinen Masterplan gegen den drohenden EM-K.o.

Führungsspieler in der Pflicht

Vom ersten emotionalen Weckruf des Bundestrainers noch im Teamquartier in Herzogenaurach hatte Kimmich schon zuvor berichtet. Löw nahm dabei besonders seine Führungsspieler nochmal richtig in die Pflicht. Von Selbstzweifeln und Verunsicherung ist vor der hitzigen Kraftprobe mit Portugals EM-Champions um Torminator Cristiano Ronaldo bei der Fußball-Nationalmannschaft jedenfalls nichts zu spüren.

Der Bundestrainer schwor seine Spieler mit einer leidenschaftlichen Ansprache auf das zweite Gruppenspiel am Samstag in der Münchner Arena ein. «Er hat uns nochmal heiß gemacht. Er hat uns schon gesagt, dass wir jetzt langsam in den Wettkampfmodus kommen müssen», erzählte Kimmich. Ob der Bayern-Profi wieder rechts statt in der Zentrale spielen wird, verriet Löw nicht. Kimmichs Worte gaben aber den entscheidenden Hinweis: «Die Entscheidung fällt am Ende immer der Trainer. Sonst wäre es vollkommen Harakiri. Der Trainer stellt so auf, dass die Mannschaft möglichst erfolgreich ist.»

Löw machte deutlich, worauf es jetzt ankommt. «Was ich spüre, ist eine entschlossene Stimmung und Haltung des absoluten Willens. Jeder weiß, dass wir einige Dinge besser machen wollen und müssen und werden», betonte Löw. Vor allem gehe es um mehr Dynamik und Präzision in der Offensive. Aber: «Das heißt nicht, dass wir das Stadion auf Teufel komm raus erstürmen wollen.»

«Der Druck wird uns nicht erdrücken»

Leichter als bei der nicht bestandenen Prüfung gegen den Weltmeister wird es jedenfalls gegen einen «ähnlich starken und eingespielten Gegner» nicht. «Mit dem Druck können alle umgehen. Den kenne ich seit 15 Jahren. Der Druck wird uns nicht erdrücken», versprach Löw.

Sonst droht der deutschen Nationalmannschaft gleich das nächste Turnierdesaster – und Löw ein DFB-Abschied ohne Applaus. Die Spieler haben verstanden. «Wir sind nicht hier, um Urlaub zu machen oder früh abzureisen. Es geht darum, dass wir das Spiel gewinnen und weiterkommen», sagte Kimmich. Trotz des 0:1 gegen Frankreich sollten alle gegen die Portugiesen um Star Cristiano Ronaldo «Überzeugung in die eigene Stärke» haben, betonte der Münchner.

Die energische Ansprache des Bundestrainers vor seinen 24 verfügbaren EM-Spielern um den nach einer kurzen Trainingsauszeit zurückgekehrten Angreifer Serge Gnabry auf dem Trainingsplatz dauerte mehrere Minuten. Schon vor der abschließenden Einheit noch im Basiscamp hatte Löw am Rande des Platzes die weitere Marschroute ausgegeben: «Wir haben alles noch in der eigenen Hand. Aber wir müssen uns steigern!»

Kräftezehrende Hitzeschlacht erwartet

Bei den letzten Worten ballte Löw mehrmals die Faust. Volle Power ist gefordert. Bei «30 Grad», die Löw als Wettermann für Samstagabend vorhersagte, kündigt sich auch ein körperlicher Abnutzungskampf an.

Anders als beim Titelgewinn 2016 in Frankreich haben die Portugiesen gleich im ersten Turnierspiel mit dem 3:0 in Budapest gegen Ungarn in die Spur gefunden und die Weichen Richtung Achtelfinale gestellt. Und Portugal hat halt Cristiano Ronaldo, den ewigen Nationalhelden, der nach den Toren Nummer zehn und elf gegen Ungarn EM-Rekordschütze ist. Löw machte dennoch klar: «Portugal ist keine One-Man-Show.»

Bei Deutschland wird ein verlässlicher Goalgetter seit Jahren vermisst. Aber vorne darf die Null nicht nochmal stehen. «Wir brauchen auf jeden Fall das eine oder andere Tor», sagte auch Löw fast flehend. Nur Wille, Herz und Leidenschaft reichen nicht, um mit den Besten Europas mithalten zu können. Mehr Mut, mehr Risiko, mehr Entschlossenheit mahnte Kimmich an. Aber wer taugt zum Matchwinner? Gnabry, Thomas Müller und Kai Havertz bildeten ein recht stumpfes Offensiv-Schwert in Spiel eins.

Kommen offensive Umstellungen?

Heißt Löws Lösung Leroy Sané? «Wir wissen, wie gut er ist, wie gut er uns tun kann», warb Ilkay Gündogan für den mit Talent gesegneten Angreifer. Auch Timo Werner wartet auf sein «Go» von Anfang an. Oder könnte der unbekümmerte Bayern-Youngster Jamal Musiala ein Tor-Joker sein? «Wir haben im Offensivbereich ein brutales Überangebot an Spielern», sagte Champions-League-Sieger Werner. Quantität ist tatsächlich vorhanden – europameisterliche Qualität auch?

Die beste Torquote der jüngeren Vergangenheit verzeichnet noch Gnabry, der aber keine klassische Spitze ist, sondern beim FC Bayern München auf dem Flügel spielt. Der 25-Jährige meldete sich zum Glück fit: Mit einem blauen Tape am linken Knie trainierte er wieder.

Keine Hinweise auf Systemwechsel

Was verändert Löw? Womöglich nichts – oder nur wenig. Es gab in der kurzen Zeitspanne zwischen Frankreich und Portugal keine Hinweise auf einen Systemwechsel. Löw könnte sogar derselben Startelf vertrauen, zumal er Leon Goretzka nach sechs Wochen Wettkampfpause zum wertvollen Helfer während des Spiels erklärte. «Er ist natürlich eine super Option in der zweiten Halbzeit. Sehr wahrscheinlich wird es so sein, dass man ihn bringt.»

Für Löw geht es allenfalls «um Nuancen», die angepasst werden müssen. «Portugal spielt etwas anders als Frankreich», bemerkte der 61-Jährige. «Wir spielen voll auf Sieg», versprach derweil forsch Abwehrspieler Matthias Ginter: «Wir können alles noch geradebiegen.» Auch als Dritter ist ein Weiterkommen in der Hammergruppe F möglich. «All in» gehen muss Löw in Spiel Nummer zwei noch nicht zwingend.

Von Klaus Bergmann, Jens Mende und Arne Richter, dpa
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