Trat einen Tag nach dem EM-Aus gegen England das letzte Mal als Bundestrainer vor die Presse: Joachim Löw. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Joachim Löw hat «ohne Wenn und Aber» die Verantwortung für den bitteren Achtelfinal-K.o. bei der Fußball-EM übernommen.

«Es tut mir leid, dass wir unsere Fans enttäuscht haben und nicht die Begeisterung ausgelöst haben, die wir uns vor dem Turnier vorgenommen haben», sagte der scheidende Bundestrainer einen Tag nach dem 0:2 gegen England bei seiner letzten DFB-Pressekonferenz in Herzogenaurach.

«Es liegt in meiner Verantwortung», betonte der 61-Jährige, der sich in der Nacht in einer Ansprache an seine Spieler und den gesamten Betreuerstab für das Vertrauen und die langjährige Zusammenarbeit bedankt hatte. «Diese menschliche Seite wird bleiben, dafür bin ich wahnsinnig dankbar», sagte Löw am Tag nach dem Ausscheiden: «Für diese Momente ist man gern Trainer.»

Löw glaubt an gute Zukunft unter Flick

Löw sieht trotz der großen Enttäuschung positive Perspektiven für das Team um Kai Havertz, Leon Goretzka und Joshua Kimmich. «Ich glaube, dass diese Mannschaft und einige Spieler, die mit Sicherheit auch die nächsten Jahre dabei sind, wirklich eine sehr, sehr gute Zukunft vor sich haben und vielleicht auch diesen Erfolg erreichen, den sie sich alle wünschen», sagte Löw. «Ich wünsche natürlich auch meinem Nachfolger Hansi Flick alles, alles Gute und viel Erfolg.»

Sein Herz werde «weiterhin Schwarz-Rot-Gold» schlagen, betonte Löw nach 17 Jahren beim Verband und 15 Jahren davon als Chefcoach. «Ich werde Fan sein und die Daumen drücken, dass sie ihre Erfolge erreichen», sagte der Weltmeister-Trainer von 2014 in Richtung seiner Spieler. Am Morgen hatte er sich bei allen mit kurzen persönlichen Gesprächen verabschiedet. «So eine lange und intensive Zeit hätte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorstellen können», sagte Löw.

«Wir haben alles investiert»

Die Gründe für das Scheitern bei dieser EM wollte Löw so kurz nach der Wembley-Niederlage nicht erläutern. Für eine Analyse, was hat gut funktioniert, was weniger, sei es zu früh: «Wir haben alles investiert, haben uns Tag und Nacht Gedanken gemacht, was können wir in kurzer Zeit erreichen. Wir haben uns kritisch mit vielen Dingen auseinandergesetzt. Ins Detail zu gehen, macht für mich wenig Sinn.»

Natürlich könne man jeden K.o. erörtern und analysieren, erklärte Löw. «Aber am Ende steht das Ergebnis, das Ausscheiden im Achtelfinale. Damit sind wir natürlich nicht zufrieden, auch wenn es gegen England war.»

DFB-Direktor Oliver Bierhoff will weiter an den hohen Turnier-Ansprüchen festhalten. «Ich kann nicht damit zufrieden sein, dass wir Außenseiter sind», sagte der frühere Nationalspieler. Die DFB-Auswahl habe den «Anspruch, immer vorn mitzuspielen», fügte der 53-Jährige hinzu. 2018 war das deutsche Team unter Löw als Titelverteidiger bei der WM in Russland schon in der Gruppenphase ausgeschieden.

Bierhoff-Forderung an Flick

Als Löw-Nachfolger übernimmt Hansi Flick den Job des Bundestrainers. «Wir haben den Anspruch, eine «souveräne Qualifikation» für die Weltmeisterschaft in Katar 2022 zu spielen», sagte Bierhoff. Dabei wisse er, dass es nicht viel Zeit gebe für den ehemaligen Löw-Assistenten: Schon im September stehen die nächsten drei WM-Ausscheidungsspiele an. Flicks Aufgabe sei es, «eine Mannschaft aufzubauen, die Identität hat», forderte Bierhoff.

Der 53-Jährige wünscht sich mehr Kontinuität in den Leistungen der Nationalelf. Zuletzt habe es «immer doch wieder kleine Rückschritte» gegeben, «die müssen wir versuchen abzustellen», sagte er.

Jetzt muss Flick die Antworten möglichst schnell finden. Bis zur WM in Katar, für die im Herbst in sieben Spielen das Ticket erst noch gelöst werden muss, sind es nicht einmal mehr 17 Monate. Nie zuvor war die Spanne zwischen zwei Topereignissen so kurz. Deutschland geht als Tabellendritter hinter Armenien und Nordmazedonien ins Rennen um Platz eins – nur der garantiert die WM-Teilnahme.

Personeller Umbruch?

Die Anzeichen für einen personellen Umbruch, den Löw vollzog und wieder zurücknahm, sind groß. Die Rückholaktion von Müller und Mats Hummels, die als Symbol alternativlos war, verpuffte sportlich. Tragische Menetekel werden das Eigentor von Hummels beim 0:1-Auftakt gegen die viel zu ehrfürchtig eingeschätzten Franzosen und Müllers Fehlschuss zum möglichen 1:1-Ausgleich gegen England bleiben.

Innerlich aufgewühlt war besonders Müller. Nach seiner vergebenen Großchance meldete sich der 31 Jahre alte Angreifer am frühen Mittwochmorgen mit einer bewegenden Instagram-Botschaft zu Wort. «Da war er, dieser eine Moment, der dir am Ende in Erinnerung bleibt, der dich nachts um den Schlaf bringt. Für den du als Fußballer arbeitest, trainierst und lebst», schrieb der Bayern-Profi.

Die Rückkehrer leiden: «So, that’s it. Die EM ist für uns vorbei. Und ich sitze hier im Bus und will es nicht wahrhaben», schrieb Verteidiger Hummels auf seinen Social-Media-Kanälen. Der Dortmunder ahnte noch in London, dass es Kritik hageln dürfte. «Es ist schon klar, dass jetzt alles niedergeredet wird.» Das Turnier müsse aber auch er «jetzt alles in allem leider als Enttäuschung abhaken».

Offensives Gerüst steht

Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, der mit Flick befreundet ist, rechnet mit einem sanften Umbruch – und mit Müller im DFB-Trikot. Flick wird nicht viel ausprobieren können. Muss er auch nicht. Denn das Grundgerüst mit viel Talent gerade in der Offensive (Kai Havertz, Serge Gnabry, Leroy Sané, Jamal Musiala) steht. «Wir haben eine Reihe junger Spieler, die in den nächsten zwei, drei Jahren nochmal einen großen Schritt nach vorne machen werden», sagte Löw.

Kimmich und Leon Goretzka müssen nun wirklich in die Führungsrolle schlüpfen. Beide seien «jetzt schon Leader in der Mannschaft, weil sie mit ihrem unbändigen Willen vorangehen», betonte Löw. Und was wird aus ihm? «Mit Sicherheit gibt es neue Aufgaben für mich, die interessant sind», sagte er. Er habe «keine konkreten Pläne». Nur eines ist sicher, wie ein niederländischer Fragesteller erfahren musste: Den vakanten Posten als Bondscoach beim Erzrivalen Holland – den will Löw nicht.

Folge uns

Von