Startet mit dem DFB-Team in die finale EM-Vorbereitung: Bundestrainer Joachim Löw. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Revierfoto/dpa)

Nach der ersten Eingewöhnung im «Home Ground» richtet Joachim Löw beim deutschen EM-Countdown alles auf den für ihn «schwerstmöglichen» Start ins Turnier aus.

Im von der Außenwelt abgeschotteten Quartier auf dem weitläufigen Campus des DFB-Partners Adidas gibt es für den Bundestrainer und seine in Vier-Mann-Häuschen untergebrachten Spieler ab sofort nur noch ein Thema: Frankreich!

Der Knallstart am kommenden Dienstag in München dürfte gleich Fingerzeige liefern, ob Löws Happy-End-Wunsch nach 15 Jahren als Bundestrainer wahr werden kann. «Klar wollen wir unbedingt ganz weit kommen», sagte Löw im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Vom Finale oder Titelgewinn mag er im Vorfeld lieber nicht reden. Doch nach dem Anpfiff des Turniers sollen «alle im Land spüren: Hey, diese Mannschaft gibt alles für Deutschland!» Das würde auch dem 61-Jährigen «schon mal eine große Zufriedenheit» geben.

Anschauungsunterricht für Löw

Im neu erbauten Camp in Herzogenaurach erhielten Löws Stab und die Spieler am ersten Abend beim 3:0 der Franzosen gegen Bulgarien noch einmal frischen Anschauungsunterricht. Die topbesetzte Offensive des Weltmeisters stand im Stade de France erneut im Fokus: Antoine Griezmann traf spektakulär per Fallrückzieher. Der eingewechselte Olivier Giroud legte sehr spät einen Doppelpack nach. Für einen Schrecken bei der Équipe Tricolore sorgte Stürmerstar Karim Benzema. Der Rückkehrer von Real Madrid verletzte sich am Knie, musste raus. Am Abend gab Frankreichs Verband aber Entwarnung, es handle sich nur um einen Pferdekuss.

Auf dem sogenannten Marktplatz im «Home Ground», auf dem sich nach den Vorstellungen von Quartiermeister Oliver Bierhoff «alles tummeln» soll und wo ein ähnliches Gemeinschaftsgefühl wie im legendären Campo Bahia beim WM-Triumph 2014 in Brasilien entstehen soll, war also am Mittwoch für Gesprächsstoff gesorgt. Löw verriet seine Agenda für den finalen Countdown: «Am Donnerstag beginnen wir ganz konkret mit der Vorbereitung auf Frankreich, mit Gesprächen, mit Videos. Im Training wird an der Feinabstimmung gearbeitet, an einem Matchplan.»

«Frankreich ist absolut auf Top-Niveau»

Der Topfavorit wird gleich zur Masterprüfung für Löws EM-Elf um die Rückkehrer Thomas Müller und Mats Hummels. «Frankreich ist einfach individuell überragend gut besetzt und unglaublich variabel. Die Franzosen sind extrem schwer auszurechnen. Frankreich ist absolut auf Top-Niveau. In jeder Beziehung», sagte Löw. Also der schwerstmögliche Auftaktgegner? Löws klare Antwort im Video-Gespräch: «Ja!»

Anders als im Trainingslager in Seefeld kann der Bundestrainer auf dem Adidas-Gelände im Geheimen üben. Das Adi-Dassler-Stadion ist für Spione nicht einsehbar. Es sieht zwar so aus, dass Löw seine EM-Elf beim 7:1 gegen Lettland gefunden hat. Aber auch für einen Clou war er in der Vergangenheit oft gut. Stellt er Joshua Kimmich wirklich rechts auf die Außenbahn? Der Münchner selbst, der sich lieber im Mittelfeldzentrum verortet, wird sich jeder Entscheidung fügen. «Wir vertrauen dem Trainer, dass er zum Spieltag das beste Team und das beste System auf den Platz bringt», sagte der ehrgeizige Münchner.

Unverzichtbarer Kroos

Keinen Zweifel lässt Löw an Toni Kroos (31) aufkommen, auch nicht nach einer gerade erst überwundenen Corona-Erkrankung. «Toni ist ein Vorbild an Professionalität. Besser kann man sich nicht auf den Job vorbereiten», sagte Löw: «Er ist für mich derzeit einfach ein unverzichtbarer Spieler.» Gerade gegen Frankreich setzt Löw auf den Faktor Kroos: «Toni ist in einem Spiel überragend – gerade auch dann, wenn es schwierig ist und du auf dem Platz Kontrolle brauchst.»

Löw lebt auf seiner letzten Mission nochmal vor, was er insgesamt fühlt nach knapp zwei Wochen Turniervorbereitung: «Ich spüre Energie, ich spüre Tatendrang bei der Mannschaft.» Und er ist heilfroh, dass ihm beim persönlichen DFB-Finale ein Geisterturnier erspart bleibt. «Wir haben lange genug Geisterspiele erlebt. Das ist mit der Zeit richtig zäh gewesen», sagte Löw. Er freut sich, dass gegen Frankreich wenigstens 14.000 Fans dabei sein dürfen. «Die Zuschauer, die im Stadion sind, werden wieder mit allen Emotionen dabei sein», glaubt Löw. Der so wichtige Heimvorteil für sein Team kehrt zurück.

Gedanken über das Turnier hinaus schiebt Löw beiseite, auch wenn er sich darauf freut, «wenn ich mal loslassen kann», wenn andere Dinge als Fußball wieder mehr Platz in seinem Leben hätten. Den Job als Bundes-Jogi wird er aber vermutlich irgendwann auch mal vermissen: «Vielleicht kommt auch mal eine gewisse Leere. Das kann schon sein, weil man eine wichtige Aufgabe hatte, viel Verantwortung.»

«Weiß, wie Hansi tickt»

Umso glücklicher ist er, dass er seinem einstigen Assistenten Hansi Flick (56) sein Team übergeben wird. «Ich weiß, wie Hansi tickt und denkt», sagt Löw. «Als es konkret wurde mit Hansi und klar war, dass er Bundestrainer werden möchte, habe ich mich gefreut.»

Er traut Flick nach sieben Titeln mit dem FC Bayern zu, die Generation um Kimmich, Goretzka oder Gnabry spätestens bei der Heim-EM 2024 wieder zu einer goldenen zu krönen. «Er ist empathisch, er findet einen Zugang zu den Spielern.» Und Flick verfolge «eine klare Spielidee, die geprägt ist von fußballerischer Kultur und von Offensivgeist». Löw sieht sein Erbe bei Flick gut aufgehoben. Die Frage ist: Übergibt er ein gescheitertes oder gefeiertes EM-Team?

Von Klaus Bergmann und Jens Mende, dpa
Folge uns

Von