Der Hoffenheimer Andrej Kramaric steht im kroatischen EM-Kader. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Tom Weller/dpa)

Bei der WM vor drei Jahren sorgte Kroatiens Fußball-Nationalmannschaft als Vizeweltmeister für eine riesige Überraschung und große Euphorie in der Heimat. Nun will die Auswahl um den Hoffenheimer Torjäger Andrej Kramaric auch bei der EM eine gute Rolle spielen.

Der Auftakt hat es aber gleich in sich. Am 13. Juni (15.00 Uhr) steht das Spiel gegen Titelkandidat England an. «Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, Vizeweltmeister zu sein. Was vor drei Jahren passiert ist, ist eine unglaubliche Geschichte. Es fühlt sich für mich immer noch so an, als sei es erst gestern passiert», sagte der 29-jährige Kramaric im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Wir wissen, dass uns nun alle Mannschaften mit anderen Augen anschauen.»

Nach England sind Tschechien und Schottland die weiteren Gegner. «England ist Favorit, Tschechien kann immer ein unangenehmer Gegner sein, wie auch Schottland mit seinem Fußballstil. Wir müssen mit unserer Qualität aber in dieser Gruppe weiterkommen», sagte der Angreifer.

Frage: Wie groß ist die Vorfreude auf die EM?

Andrej Kramaric: Ich kann den EM-Start kaum noch erwarten, die Vorfreude auf ein interessantes Turnier ist groß. Wir haben Qualität, aber es gibt auch ein paar Mannschaften, die noch mehr Qualität haben und in diesem Jahr auch besseren Fußball spielen als wir.

Welche Rolle kann Kroatien als Vizeweltmeister bei der EM einnehmen?

Kramaric: Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, Vizeweltmeister zu sein. Was vor drei Jahren passiert ist, ist eine unglaubliche Geschichte. Es fühlt sich für mich immer noch so an, als sei es erst gestern passiert. Wir wissen, dass uns nun alle Mannschaften mit anderen Augen anschauen. Sie haben eine noch größere Motivation, gegen uns zu gewinnen. Das ist eine Sache, warum es für uns schwieriger wird. Wir sind nicht Deutschland, Frankreich, England, Spanien oder Italien. Kroatien ist ein kleines Land mit nicht so vielen Einwohnern und Sportlern. Wir haben auch viele Talente, aber große Länder haben da mehr Auswahl.

Kann man so einen Erfolg wie 2018 überhaupt wiederholen?

Kramaric: Wir haben Potenzial und eine gute Mannschaft. Aber jede Mannschaft braucht auch das nötige Glück. Wir werden alles geben. Wir haben einen besonderen Charakter – und deshalb ist alles möglich.

Sie sprechen den besonderen Charakter an. Warum ist der Stolz so groß?

Kramaric: Das sind besondere Emotionen. Seitdem es Kroatien gibt, ist die Leidenschaft eine besondere Charaktereigenschaft der Menschen dort. Besonders nach dem Beginn des Krieges in Jugoslawien im Jahr 1991. Wir haben den Willen, alles auf dem Platz zu geben für unser Land, für unsere Fans und alle Menschen in Kroatien. Vor einem Vierteljahrhundert haben viele Menschen ihre Leben und Familien im Krieg verloren. Das ist sicher auch ein Grund, warum wir so viel Leidenschaft und Charakter haben – auch in Fußballspielen. Das zeigen wir immer wieder bei großen Turnieren. Das ist ein Vorteil unserer Mannschaft.

Wie stark ist die Gruppe mit England, Schottland und Tschechien als Gegner?

Kramaric: Das ist eine starke Gruppe. England ist Favorit, Tschechien kann immer ein unangenehmer Gegner sein, wie auch Schottland mit seinem Fußballstil. Wir müssen mit unserer Qualität aber in dieser Gruppe weiterkommen. Danach kommt dann die K.o.-Phase, in der man manchmal auch Glück haben muss. Unser Ziel ist es, weiterzukommen und dann in der K.o.-Phase alles zu versuchen.

Wie wichtig ist das erste Spiel gegen England zum Start?

Kramaric: Das ist wichtig – und auch gleichzeitig nicht wichtig. Denn der Gruppensieger trifft auf Deutschland, Frankreich oder Portugal im Achtelfinale. Vielleicht ist es unter dem Gesichtspunkt am Ende sogar besser, Zweiter statt Erster zu werden. England spielt zu Hause im Wembley-Stadion, sie werden sicher auf Sieg spielen – aber auch wir werden alles geben.

Nach der WM sind erfahrene Spieler wie Rakitic und Mandzukic zurückgetreten. Wie sehr fehlen die beiden und wie kann man die Verluste auffangen?

Kramaric: Das sind zwei Topspieler mit einem Topcharakter. Sie haben viel geleistet für die kroatische Nationalmannschaft. Aber Kroatien hat immer auch neue Talente und junge Spieler. Die Welt dreht sich weiter. Natürlich vermissen wir die beiden. Aber wir haben immer noch großartige Spieler und ein gutes Potenzial in der Mannschaft und können auch diese beiden Spieler ersetzen.

Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle?

Kramaric: Nach dieser Saison, meiner besten Saison mit Tor-Rekorden, sehe ich mich in einer guten Rolle. Aber über die Einsätze entscheidet natürlich der Trainer. Doch mit solchen Statistiken aus der Bundesliga und als bester Torschütze der letzten Jahre in Kroatien, hoffe ich, dass ich eine gute Rolle spielen werde.

Wie viel Selbstvertrauen nehmen Sie aus der Saison mit?

Kramaric: Ich habe viel Selbstvertrauen, das hilft einem vor einer EM. Aber nur mit Selbstvertrauen und ohne hartes Training wird es nicht gehen. Ich hoffe, dass ich gesund bleibe. Ich werde alles geben – und bin bereit.

Ist die Offensive das Prunkstück der Mannschaft?

Kramaric: Die Offensive und das Mittelfeld mit Modric und Brozovic kennen alle Gegner. Ich erwarte daher, dass sie gegen uns tiefer verteidigen werden. Aber wir sind auch nicht so gut wie etwa Spanien. Aber im Fußball ist sowieso alles möglich, positiv wie negativ. Das haben wir mit Hoffenheim bei unserem Aus in der Europa League gegen Molde erlebt.

Wie wichtig ist Luka Modric auch mit 35 Jahren noch für Ihre Mannschaft?

Kramaric: Er ist für mich noch immer einer der besten Spieler der Welt. Er ist ein unglaublicher Spieler. Ich habe großen Respekt davor, was er in seiner Karriere alles erreicht hat. Ein toller Spieler – einer der besten Mittelfeldspieler, die es jemals im Fußball gab.

Die EM findet in elf verschiedenen Städten und Ländern statt, es gibt viele Reisen. Wie finden Sie das?

Kramaric: Um ehrlich zu sein, bin ich nicht der Fan von so einer Art Turnier mit vielen Reisen in viele verschiedene Länder. Zum einen spielt Corona eine Rolle, zum anderen fühlt es sich besser an, wenn das Turnier in einem oder zwei Ländern stattfindet, weil es für die Fans auch schöner ist. Das gehört zum Fußball, dass die Emotionen an einem Ort gemeinsam erlebt werden können und nicht in vielen verschiedenen Ländern. Ich denke und hoffe, dass es das letzte Mal ist, dass es ein Turnier in dieser Form gibt.

Wie sehr fehlen Fans und Fan-Feste der EM?

Kramaric: Ohne Fans ist Fußball gar nichts, es fehlen die Emotionen. Ich hoffe, dass bald wieder mehr Fans zum Fußball kommen dürfen. Wir genießen den Fußball viel mehr, wenn Fans dabei sind.

Sie haben eine Corona-Infektion hinter sich. Merken Sie noch Folgen?

Kramaric: Nein, mir geht es gut. Natürlich war ich danach erstmal außer Form, weil ich zwei Wochen zu Hause nichts gemacht habe. Schade, dass mich das in einer so guten Phase der Saison gebremst hat. Ich war in richtig guter Form, danach habe ich etwas gebraucht.

Über Ihre Zukunft nach der EM wird viel spekuliert. Inwieweit ist die EM da auch eine Bühne für Sie – und wie geht es für Sie weiter?

Kramaric: Das werden wir sehen. Ich habe immer gesagt, dass ich in Hoffenheim glücklich bin. Wir werden sehen, was passieren wird.

Zuletzt wurde spekuliert, Ihre Zukunft könnte in Italien sein. Hat Ihnen Ihr kroatischer Sturmkollege Ivan Perisic von Inter Mailand schon gesagt, wie schön die Serie A ist?

Kramaric: Das braucht er nicht zu sagen, ich schaue mir die Serie A gerne an. Aber nicht nur die, sondern auch andere Ligen aus anderen Ländern. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

Mit wem kann man besser Titel gewinnen? Mit Hoffenheim oder mit Kroatien?

Kramaric: Mit Kroatien haben wir fast schon einen Titel gewonnen, wir waren nah dran. Aber es ist Zeit, dass wir in Hoffenheim versuchen, etwas mehr aus dem DFB-Pokal zu machen. Das ist vielleicht eine Chance für uns. Ich würde gerne ein Finale mit Hoffenheim spielen.

ZUR PERSON: Andrej Kramaric (29) erzielte in 54 Länderspielen für Kroatien 14 Tore. Vor drei Jahren wurde er mit der kroatischen Auswahl Vize-Weltmeister. In der Bundesliga läuft der Stürmer seit mittlerweile mehr als fünf Jahren für die TSG Hoffenheim auf und ist zudem Bundesliga-Rekordtorschütze des Vereins. Im Januar 2021 löste er Ivica Olic als kroatischen Top-Torjäger der Liga ab.

Interview: Christian Kunz, dpa
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