Torhüter Manuel Neuer trägt bei der EM eine regenbogenfarbene Kapitänsbinde. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Manuel Neuer ließ sich die Bälle von Andy Köpke im Abschlusstraining extra scharf um die Ohren schießen. Noch wartet der DFB-Kapitän auf seinen besonderen EM-Moment im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Im Achtelfinal-Kracher am Dienstag (18.00 Uhr/ARD und Magenta TV) gegen England wäre im Wembley-Stadion ein idealer Zeitpunkt für die siegbringende Parade – wie Neuer sie vor der EURO im DFB-Trikot schon oft gezeigt hat.

Jede Kleinigkeit entscheidet

«Wir freuen uns, dass es mit einem Finale weitergeht», sagte Neuer zum Stellenwert des Klassikers. Standardsituationen habe man besonders intensiv geübt, um die englische Offensive zu stoppen, erzählte der Schlussmann. «Jetzt entscheidet jede Kleinigkeit, da müssen wir hellwach sein. Eine stabile Defensive ist jetzt elementar wichtig für unser Spiel», sagte Neuer schon vor dem Abflug nach London dem «Kicker».

Einen besseren Ratgeber als Köpke könnte Neuer kaum haben. Der Bundestorwarttrainer hatte seinen Wembley-Moment beim letzten EM-Triumph vor 25 Jahren mit der entscheidenden Parade im Elfmeterschießen des Halbfinales gegen Englands heutigen Nationaltrainer Gareth Southgate. Auch für die aktuelle Auflage wurde natürlich vom Punkt speziell geübt.

Fünf Gegentore, viermal machtlos

Neuer kennt die besonderen Turnier-Augenblicke. Beim WM-Triumph 2014 machte er – wie auch Köpke kürzlich nochmal erinnerte – gegen Algerien im Achtelfinale (2:1 n.V.) eines seiner besten von insgesamt 103 Länderspielen. Eine Runde danach rettete sein ausgestreckter Arm bei einem Gewaltschuss von Frankreichs Karim Benzema den 1:0-Erfolg. Neun Tage später war Neuer mit dem DFB-Team Weltmeister.

Diese EM war für Neuer noch kein Torwart-Turnier. Machtlos bei vier der fünf Gegentore gegen Frankreich (0:1), Portugal (4:2) und Ungarn (2:2). Falsch postiert im Strafraum beim zweiten Ungarn-Treffer von Andras Schäfer. Insgesamt fünf Gegentreffer in einer Gruppenphase kassierte als letzter DFB-Schlussmann Oliver Kahn bei der Debakel-EM 2000. Neuers Negativmarke waren vier Gegentore beim WM-Aus 2018, sonst waren es seit 2010 in vier weiteren Turnieren maximal zwei.

Regenbogenbinde sorgt für Aufsehen

Auf dem Platz konnte Neuer noch nicht glänzen. Im Mittelpunkt stand der 35-Jährige dennoch. Die Regenbogen-Binde an seinem Arm löste die emotionale Debatte um die politischen und gesellschaftlichen Statements der Nationalspieler bei der EM aus. Nun kündigte Neuer an, dass die DFB-Elf wie Rivale England als Zeichen gegen Rassismus am Dienstag vor dem Anpfiff in die Knie gehen werde.

«Wir stehen für Toleranz. Es war für uns keine Frage. Wir ziehen da sofort mit», sagte Neuer. Im Gegenzug werde Englands Kapitän Harry Kane wie Neuer als Spielführer die Regenbogenbinde für Toleranz und Vielfalt am Arm tragen. «Die Engländer solidarisieren sich mit der Binde und wollen das auch zeigen», sagte Neuer.

Neuer ist stolz darauf, ein Zeichen gesetzt zu haben. «Es war in der Vergangenheit oft so, dass wir uns politisch nicht so positioniert haben und stattdessen den Richtlinien, wie es immer gewesen ist, gefolgt sind. Jetzt hat – auch dank der sozialen Medien – jeder Einzelne mehr Einfluss, etwas zu bewegen», sagte Neuer.

Haltung zeigen

Bewusst ist dem Schlussmann, dass es noch Unterschiede in der Wahrnehmung im westlichen Europa zu anderen Regionen gibt. «Ich finde es gut. Daran sieht man, wo wir stehen in unserer Gesellschaft, und dass wir 2021 in Mitteleuropa so weit sind, dass wir als offene, tolerante Gesellschaft eine solche Aktion als sehr positiv empfinden», sagte der 35-Jährige.

Der Keeper des FC Bayern München war für seine klare Haltung gelobt worden. «Eigentlich hatte er nicht viel dabei zu gewinnen, außer den Sympathien der Community. Er hatte auch einiges zu verlieren», schrieb Aktivist und Autor Johannes Kram in seinem «Nollendorfblog». Neuer habe gezeigt, «was mit Haltung alles möglich ist».

Von Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa
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