Bundestrainer Julian Nagelsmann macht sich Gedanken über die Kaderbenennung für die Fußball-EM im Sommer. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Die Vorstellung von gelangweilten oder gar nörgelnden EM-Stars ist Julian Nagelsmann ein Graus. Also entwirft der Bundestrainer mitten in der von Holland-Coach Ronald Koeman entfachten Debatte über eine Aufstockung der Turnierkader bei der Fußball-Europameisterschaft von 23 auf 26 Spieler einen revolutionären Gedanken. Möglicherweise wird Nagelsmann für das Heimturnier weniger Spieler in die Nationalmannschaft berufen, als es ihm die Regularien erlauben könnten.

«Ich finde, dass man das offenhalten kann. Man kann ja eine maximale Anzahl von 26 benennen und jeder kann entscheiden, ob er weniger mitnimmt», sagte der Bundestrainer nach dem Workshop der UEFA für die EM-Teilnehmer am Montagabend in Düsseldorf. Einen freiwilligen Verzicht auf Personaloptionen hat es bei großen Turnieren noch nicht gegeben.

Nagelsmann setzt damit gut sechs Wochen vor der Kaderbekanntgabe seinen neu definierten Personalkurs fort. Lieber hungrige Herausforderer als potenzielle Querulanten. Mit dieser Argumentation – wenn auch etwas freundlicher verpackt – hatte er auch schon die Streichung vermeintlich fixer EM-Fahrer wie Mats Hummels und Leon Goretzka aus seinem März-Kader begründet, denen er die Rolle als Backup-Spieler nicht zutraute. Die Erfolge in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) gaben ihm schnell recht.

UEFA erwägt Regeländerung

Die UEFA schloss wenige Wochen vor dem Turnierstart eine Überarbeitung der Regeln nicht aus. Man habe «die verschiedenen Meinungen und Standpunkte zur Kenntnis genommen und wird in den kommenden Wochen eine endgültige Entscheidung treffen», hieß es in einem Statement nach dem Team-Workshop der 24 EM-Teilnehmer am Montag in Düsseldorf.

Nagelsmann selbst plädiert für einen kleineren Kader, will aber nicht als Spielverderber für andere in Erscheinung treten. «Ich bin generell eher bei 23, kann aber auch alle Argumente für 26 verstehen», betonte der 36-Jährige vor seinem ersten Turnier als DFB-Chefcoach. Ähnlich äußerte sich in Düsseldorf der Schweizer Nationalcoach Murat Yakin – am 23. Juni in Frankfurt der letzte deutsche Gruppengegner. Auch Österreichs deutschen Cheftrainer Ralf Rangnick kann sich eine solche flexible Regelung vorstellen.

Nagelsmann bringt vor allem Teambuilding-Argumente für seine Haltung vor. «Wenn du eine Abteilung hast, 20 arbeiten und 10 sitzen herum, weil sie nichts zu tun haben, ist es okay. Aber wenn du das Verhältnis andersherum hast, 10 arbeiten und 20 sitzen herum, dann wird es eng, dass die Abteilung noch eine gute Stimmung hat. Dann hast du mehr damit zu tun, die Unzufriedenen zu trösten, dann passt das Verhältnis nicht so ganz», erläuterte er.

Nagelsmann erinnert an Club-Erfolge

Auch im Vereinsfußball – das Feld, das der ehemalige Club-Trainer Nagelsmann immer wieder als Beispiel heranführt – würden nicht Mammutkader den Erfolg bringen, konstatierte der Bundestrainer. «Am Ende sind es in allen Vereinen, die erfolgreich sind, 14 oder 15, die die Minuten sammeln und fünf sechs, kriegen fünf Prozent der Spielzeit. Da muss man sich schon überlegen, ob das sinnvoll ist», sagte er zum Wunsch nach mehr EM-Akteuren.

Eher als Hummels oder Goretzka dürften sich vermutlich Perspektivspieler wie Aleksandar Pavlovic vom FC Bayern München oder Jan-Niklas Beste vom 1. FC Heidenheim, die im März nominiert waren, dann aber aus gesundheitlichen Gründen passen mussten oder auch Maximilian Beier von der TSG Hoffenheim Hoffnungen auf einen Zusatz-Platz machen, sollte Nagelsmann doch noch aufstocken.

Seinen EM-Kader wird der DFB-Chefcoach kurz vor dem DFB-Pokalendspiel, vermutlich am 23. Mai bekannt geben, drei Tage später startet das erste Trainingslager südlich von Weimar. Dem Vernehmen nach könnten dann noch mehr als 23 Spieler nominiert sein, da manche Akteure wie die von Cup-Finalist Bayer Leverkusen oder möglichen Champions-Leauge-Finalisten erst nachreisen. Nagelsmann würde dann noch Richtung Turnier aussortieren. Die Frist für die finale Kadermeldung an die UEFA endet am 7. Juni um Mitternacht.

Die Kader-Diskussion hatte der niederländische Bondscoach Koeman nach dem 1:2 im Test gegen die DFB-Elf Ende März aufgebracht und sich wegen der rasanten Entwicklung des Spiels mit hohen Belastungen für mehr personelle Optionen ausgesprochen. In UEFA-Kreisen werden medizinische Argumente aber eher nicht geteilt, wie in Düsseldorf verlautete.

Katar-Kader als Warnung

Bei der EM 2021 waren die Kader wegen der Corona-Pandemie auf 26 Spieler ausgeweitet worden, bei der WM 2022 waren die hohen Belastungen mitten in der Saison das Argument für mehr Turnierspieler gewesen. Gerade der früh gescheiterte Katar-Kader seines Vorgängers Hansi Flick erscheint Nagelsmann aber offenbar als warnendes Beispiel.

Von Arne Richter, dpa
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