Bayerns Cheftrainer Julian Nagelsmann geht nach dem Sieg gegen den BVB über den Platz. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Matthias Balk/dpa)

Im Kreis seiner routinierten Meister-Spieler wirkte Julian Nagelsmann als Titel-Novize emotional am aufgewühltesten – und nach dem spontanen Jubel erstaunlich nachdenklich.

Seine erste Bierdusche auf dem Arena-Rasen habe sich «gut angefühlt», berichtete der mit 34 Jahren nun jüngste Münchner Meistercoach glücklich. «Es ist für mich der erste große Titel und ein bedeutender Moment.»

Premierenjahr für Nagelsmann beim FCB

Nagelsmann musste einige «Nackenschläge» im Premierenjahr wegstecken und erst lernen, was es heißt, Bayern-Trainer zu sein. Auch in ihm arbeitet weiter der Champions-League-Frust nach dem Schock-Aus gegen den FC Villarreal, das alle in München mit in einen unruhigen Sommer mit quälenden Personaldebatten schleppen. Vor allem die Causa Robert Lewandowski scheint sich zu verschärfen.

Der Weltfußballer erfüllte seinen Torjägerjob auch beim 3:1 (2:0) im Topspiel gegen Borussia Dortmund mit Treffer Nummer 48 im 43. Saisoneinsatz. Für seinen verlässlichen Lieferdienst will der 33 Jahre alte Torjäger in Zukunft noch mehr Geld kassieren. «Das Einzige, was ich weiß, dass bald ein Treffen kommt», äußerte er am Wochenende zurückhaltend. Die Situation sei «nicht leicht» für ihn.

Und für den Verein? Sportvorstand Hasan Salihamidzic verwies am Sonntag im TV-Sender Sky auf die massiven Corona-Einbußen auch des Bundesliga-Krösus: «Vor der Pandemie hatten wir steigende Einnahmen, Jetzt haben wir sinkende Einnahmen und steigende Gehälter.»

Lewandowski sei «der Topverdiener im Club». Er sehe aber nicht, dass sich «die Fronten verhärten». Die Verhandlungen mit Lewandowskis Beratern sollen erst jetzt beginnen. «Wir haben alle Zeit der Welt, zu reden», sagte Salihamidzic. Er verwies mehrmals auf den gültigen Vertrag mit Lewandowski bis zum 30. Juni 2023. «Jetzt haben wir Zeit, darüber zu reden, was danach ist», sagte Salihamidzic. Einen Abschied des Torjägers aus der Bundesliga im Sommer schloss er mehrmals aus.

Meisterschaft daheim vor 75.000 Zuschauern

Den zehnten Meistertitel nacheinander wollte sich beim Feiern am Samstagabend auch Nagelsmann derweil «nicht kleinreden lassen». Zumal der Meisterschaftsvollzug im direkten Vergleich mit dem ewigen Rivalen Dortmund in der mit 75.000 Zuschauern gefüllten Allianz Arena den bestmöglichen Rahmen für Spieler, Trainer und Fans bot. Die Borussia wurde auf zwölf Punkte distanziert – Mission erfüllt.

«Wir wollten unbedingt», sagte der mit nun elf Titeln alleinige Spieler-Rekordmeister Thomas Müller zur speziellen Konstellation im letzten großen Saisonspiel: «Wir haben gezeigt, was Sache ist!» Die Bayern-Dominanz hält an – die Konkurrenz steht seit 2013 Spalier.

Zehn Jahre Bayern-Herrschaft – «das ist schon eine außergewöhnliche Zahl», schwärmte Kapitän Manuel Neuer, der mit einer Pappschale über den Rasen hüpfte. Zehn Meistertitel in Serie konnte vor den Bayern kein Verein in einer der fünf Top-Ligen Europas – also in England, Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland – bejubeln.

«Wir haben eine großartige Geschichte geschrieben, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa», tönte Lewandowski. Neben ihm erzielten Serge Gnabry und Jamal Musiala die Tore zur insgesamt 32. Bayern-Meisterschaft. Emre Can traf für den BVB zum 1:2 für den BVB, der im Klassiker nur nach der Pause auf Augenhöhe agierte. «Bayern war die konsequentere Mannschaft», sagte Kapitän Marco Reus. Das galt nicht nur in diesem Klassiker, sondern inzwischen seit einer Dekade.

Bayern-Dominanz eine Gefahr für die Bundesliga?

Gut tut die ungezügelte Bayern-Dominanz der Bundesliga selbst aus Sicht ehemaliger Münchner Fußball-Größen nicht mehr. «Was ist Fußball? Fußball ist in erster Linie Emotion. Wenn du wieder drei Spieltage vor Saisonschluss mit zwölf Punkten vorne stehst, fehlt die», sagte der frühere Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge am Sonntag im TV-Sender Bild. Er vermisst «Spannung in der Spitze».

Der frühere Kapitän Philipp Lahm äußerte sich im ZDF ebenfalls kritisch zum Sparflammen-Titelkampf: «Es muss enger sein, dass die Bundesliga wirklich bis zum Ende spannend ist und nicht immer schon vier Spieltage vor Schluss entschieden ist.» BVB-Coach Marco Rose garnierte seine Gratulation an den FC Bayern immerhin mit einer dezenten Kampfansage: «Im Fußball kann man durchaus mal zehn Jahre hintereinander Meister werden, vielleicht auch 15. Aber es gibt immer Mannschaften, die versuchen, das zu ändern – und dazu gehören wir.»

Während Oliver Kahn auch nach seinem ersten Meistertitel als Vorstandsboss seltsam unsichtbar blieb, übernahm Nagelsmann wieder mal die führende Rednerrolle im Verein und ließ dabei auch in sein Innerstes blicken. «Ich weiß, dass ich Dinge besser machen kann, als ich es getan habe», sagte der junge Coach, der bekannte, dass «es nicht leicht war nach Hansi, der große Fußstapfen hinterlassen hat».

Nagelsmann: «Werde gewisse Dinge anpassen»

Flicks sieben Titel in 18 Monaten – darunter der Triumph in der Königsklasse 2020 in Lissabon – kann er nach dem ersten Jahr allein die obligatorische Meisterschale entgegenstellen. Das stachelt den bekennenden «Ehrgeizling» an. «Ich werde meinen Stil nicht komplett ändern, aber gewisse Dinge anpassen», kündigte er an: «Nächstes Jahr werde ich vielleicht sogar noch einen größeren Druck verspüren.» In Champions League und DFB-Pokal wolle er «in Zukunft weiter kommen und dazu die elfte Meisterschaft nacheinander feiern».

Die Ziele sind damit gesetzt. Die Umsetzung dürfte knifflig werden. Die Personaldebatten – ein ständiges Störfeuer schon in der Rückrunde – gewannen im Meistertrubel sogar noch an Lautstarke. Nagelsmann richtete eine Botschaft an seine Bosse Kahn und Salihamidzic: «Ich habe volles Vertrauen in Brazzo und in Olli, dass sie bis Ende August wieder einen Topkader zur Verfügung stellen.»

Kapitän Neuer (36) und Urgestein Müller (32) dürften bald um ein Jahr bis 2024 verlängern. Nationalverteidiger Niklas Süle (26) zieht weiter zum BVB – der nächste ablösefreie Substanzverlust nach David Alaba (Real Madrid) im Jahr 2021. Bei Nationalspieler Gnabry (26) ist alles offen. Über allem aber steht Lewandowskis Zukunft. «Ich hoffe, dass er bleibt. Aber Hellseher bin ich nicht», bemerkte Nagelsmann.

Von Klaus Bergmann und Christian Kunz, dpa
Folge uns

Von