Frustriert: Leverkusens Robert Andrich und Florian Wirtz (r). (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marius Becker/dpa)

Es mag absurd oder gar ironisch klingen. Doch im Nachhinein war die umstrittene Vorverlegung des Derbys gegen den 1. FC Köln für Bayer Leverkusen noch nützlicher als ohnehin schon.

Denn nun hat die Werkself nicht nur zwei Tage mehr zur Regeneration und zur Vorbereitung auf das Halbfinal-Hinspiel der Europa League bei der AS Rom am Donnerstag. Sondern auch zwei Tage mehr Zeit, um vor dem wichtigsten Spiel seit Jahren das 1:2 gegen den rheinischen Rivalen aus den Kleidern zu schütteln. 

Die Niederlage gegen die Kölner war keine wie jede andere. Es war eine Heimniederlage in einem Derby. Mit emotionaler Vorgeschichte nach der von Bayer durchgedrückten Verlegung. Und sie bedeutete ausgerechnet vor der Rom-Reise das Ende der mit 14 Pflichtspielen ohne Niederlage längsten Serie seit 13 Jahren. «Das war die bitterste Art und Weise, wie so eine Serie reißen kann», sagte Mittelfeld-Antreiber Robert Andrich: «Im Derby gegen Köln in der BayArena. Schlimmer geht’s nicht.»

Im Endeffekt hat das Ballyhoo um die Verlegung, in die sich sogar NRW-Innenminister und Bayer-Dauerkarteninhaber Herbert Reul eingeschaltet hatte, vielleicht doch die Leverkusener mehr abgelenkt als den Außenseiter aus Köln, der augenscheinlich mit einer «Jetzt-erst-recht»-Einstellung 15 Kilometer nordöstlich vom eigenen Stadion angetreten war. 

Fans friedlich – Protagonisten angespannt

Obwohl unter den Fans alles weitgehend friedlich blieb, war die Stimmung auch unter den Protagonisten merklich angespannt. Als Andrich auf eine Umarmung mit Kölns Trainer Steffen Baumgart angesprochen wurde, hätte er diplomatisch antworten können. Doch dazu hatte er keine Lust. «Nee, nee, freundschaftlich war das nicht», sagte er: «Es war nur ein kurzer Austausch. Er ist natürlich fröhlich, ich bin nicht gut drauf – das ist eine Mischung, die nicht gut ist.»

Die Kölner dagegen machten kein Hehl daraus, dass sie die Vorgeschichte zusätzlich motiviert hat. «Mit den ganzen Vorgeräuschen dieses Spiels, die an den Jungs nicht spurlos vorbeigegangen sind, ist die Freude zu gewinnen, riesengroß», sagte Thomas Kessler, Leiter der Lizenzspielerabteilung: «Es war ein Spiel mit besonderen Vorzeichen, das hat man auch gemerkt in der Mannschaft. Und deswegen ist die Freude nochmal ein bisschen größer.» 

Die Kölner hatten sich geärgert, dass Bayer – regelkonform, aber wenig sensibel – die Verlegung quasi im Alleingang durchgedrückt hatte. Nach der Partie wollte aber auch Kessler das Thema erledigt wissen. «Wir haben uns vorher die Hand gegeben», sagte er mit Blick auf ein gemeinsames Essen der Bosse vor dem Spiel: «Am Ende des Tages ist alles zu dem Thema gesagt. Jeder hat seine Meinung kundgetan.»

Matchwinner Selke

Doch ein Spiel in solch brisanter Atmosphäre war wie geschaffen für Davie Selke. Jenen Kölner Stürmer, der sich gerne mal am Gegner abarbeitet und durch Rangeleien hochschaukelt. Wahrscheinlich nicht zufällig wurde der bisher meist unglücklich agierende Winter-Neuzugang ausgerechnet am Freitag mit zwei Toren zum Matchwinner. Vor allem mit Andrich hatte es immer kleine Nickeligkeiten gegeben. Das habe «vielleicht mit der Art zu tun, wie er spielt», sagte der Leverkusener später: «Das ist mir in vielen Situationen ein bisschen zu theatralisch. Und das habe ich eben öfter mal kundgetan.»

Doch Selke nickte auf die Frage nach den ständigen Rudelbildungen um ihn herum nur eifrig und bestätigte: «Ich genieße das im Allgemeinen immer. Ich haue alles für meine Jungs raus.» Zudem gehöre zu einem Derby nochmal «ein Extra an Emotionalität dazu». So brachte er sich auf Betriebs-Temperatur. Und so bestätigte er vor allem seinen Trainer, der allen Unkenrufen zum Trotz immer an Selke geglaubt hat. «Ich höre ja öfter von außen, was einer kann und was nicht», sagte Baumgart: «Deshalb bin ich froh, dass ich der Trainer bin und mit der ein oder anderen Einschätzung richtig liege.»

Holger Schmidt, dpa
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